Die systemische Herangehensweise unterscheidet sich in einigen Punkten von herkömmlichen Beratungs- oder Therapiekonzepten, da sie den Kunden nicht als Patienten definiert. Systemisch gesehen, tritt ein Problem, ein Konflikt oder eine Störung im Kontext eines Systems auf – eines Familiensystems, Teamsystems, Arbeitssystems, etc. Grundsätzlich geht der Systemiker davon aus, dass wir unser Gegenüber nicht verändern können. Aber wenn wir uns selbst innerhalb eines Systems anders bewegen, anders kommunizieren und handeln als bisher, dann verändert sich das gesamte System. Veränderung wird möglich. Stellen wir uns zum Beispiel eine Teamkonstellation vor, in der jedes Teammitglied mit jedem anderen Teammitglied mit einem Seil fest verbunden ist, dann führt die geringste Bewegung eines Teammitglieds zu einer Gesamtbewegung des Teamsystems, denn niemand kann bewegungslos an der gleichen Stelle verharren wie zuvor. Individualveränderungen ziehen Systemveränderungen nach sich.
Jeder Mensch hat seine eigene Realität, seine eigene Wirklichkeitskonstruktion, die er im Laufe seines Lebens und im Kontext seiner Lebenssituation selbst konstruiert. Systemische Beratung berücksichtigt diese verschiedenen Realitäten und unterstützt den Kunden darin, sich in gegenseitiger Wertschätzung methodenunterstützt über diese Unterschiede innerhalb seines Systems auszutauschen. Berater und Kunde schauen sich die „innere Landkarte“ des Kunden an, wechseln durch systemische Methoden den Standpunkt oder die Perspektive und erweitern so die möglichen Handlungsoptionen in Richtung Zielerreichung.
Um die Grundgedanken des Konstruktivismus hier einmal spielerisch darzustellen, greife ich mit freundlicher Genehmigung des Fischer Verlages auf eine Geschichte des Autors Jorge Bucay aus dem Buch „Komm, ich erzähl Dir eine Geschichte“ zurück.
„Es war einmal eine Ente, die hatte vier Eier gelegt. Während sie noch brütete, schlich sich ein Fuchs ans Nest heran und tötete die Ente. Bevor er die Eier auffressen konnte, wurde er gestört und suchte das Weite, die Eier blieben allein im Nest zurück.
Eine Bruthenne kam gackernd vorbei und entdeckte das verlassene Gelege . Instinktiv setzte sie sich darauf, um die Eier auszubrüten. Es dauerte nicht lang, da schlüpften die Entenküken aus, und selbstverständlich hielten sie das Huhn für ihre Mutter und spazierten bald in einer Reihe hinter ihm her. Die Henne, stolz auf ihre jüngste Brut, nahm sie mit zum Bauernhof.
Jeden Morgen nach dem ersten Hahnenschrei begann Mama Henne auf dem Boden zu scharren, und die Entlein zwangen sich dazu, es ihr gleichzutun. Da es den Entlein nicht gelingen wollte, auch nur einen einzigen Wurm aus dem Boden zu picken, versorgte die Mama sämtliche Küken mit Nahrung, sie teilte jeden Regenwurm in Stücke und steckte sie ihren Kindern in die breiten Schnäbel.
Tag um Tag ging die Henne mit ihrer Brut rund um den Bauernhof spazieren. Diszipliniert und in Reih und Glied folgten ihr die Küken.
Einmal am See angekommen, warfen sich die Entlein gleich ins kühle Naß, als hätten sie nie etwas anderes getan, während die Henne verzweifelt am Ufer gackerte und sie anflehte, aus dem Wasser zu kommen. Munter planschten die Entlein umher, und ihre Mutter flatterte nervös mit den Flügeln und heulte aus Angst, sie könnten ertrinken. Vom Gegacker der Henne angelockt, erschien der Hahn und erfaßte die Situation mit einem Blick. „Auf die Jugend ist kein Verlaß“, war sein Verdikt. „Leichtsinnig, wie sie nun mal ist.“
Eins der Entenküken, das den Hahn gehört hatte, schwamm zu ihnen ans Ufer und sagte: „Gebt uns nicht die Schuld an eurem eigenen Unvermögen.“
Denk nicht, daß die Henne falsch gehandelt hat, Demian. Und richte auch nicht über den Hahn. Halte die Entlein nicht einfach für trotzig und übermütig. Keiner von ihnen ist im Irrtum. Sie betrachten nur jeder die Realität von unterschiedlichen Standpunkten aus. Der einzige Fehler ist fast immer, zu glauben, dass mein Standpunkt der einzige ist, von dem aus man die Wahrheit sieht.
DER TAUBE WIRD DIE TANZENDEN IMMER FÜR VERRÜCKTE HALTEN.“
„Kindern erzählt man Geschichten, damit sie einschlafen. Erwachsenen damit sie aufwachen!“
Jeder von uns schaut immer wieder durch andere Brillen auf die eigene Identität, Realität, auf das eigene System. Dabei entscheiden wir aber auch immer wieder neu, durch welche Brille wir unser Leben, unsere Systeme betrachten….ist das Glas halbvoll oder halbleer? Auch hier entscheiden wir uns für eine Sichtweise. Es liegt stets an der Brille, die wir uns gerade in einem bestimmten Moment aufsetzen – aber Brillen können wir wechseln!
Veränderungen in der Kommunikation oder im Verhalten des Einzelnen führen zu Systemveränderungen. Der Schlüssel zur Veränderung liegt oft in der Gestaltung der Kommunikation sowie in der Veränderung der eigenen Haltung.
Kundenabhängig, Systemabhängig und Kontextabhängig!
Kurzum: Während unserer gesamten Lebenszeit bewegen wir uns im Spannungsfeld zwischen den Bedürfnissen, Eigenarten und Fähigkeiten unserer eigenen Person und denen der Systeme, in denen wir uns bewegen und in die wir eingebunden sind – der Kernfamilie, unserer eigenen Familie, im Arbeitsfeld, im Freundeskreis, in Vereinen, etc. Diese Spannungen können zu seelischen und auch körperlichen Problemen oder sogar zu schweren Krisen führen.